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Im Gespräch: Ernährungsmythen bei MS

Viele Patientinnen und Patienten mit MS möchten ihre Therapie mit der richtigen Ernährung unterstützen. Lesen Sie hier, welche Diäten und Ernährungsweisen hierbei hilfreich sein können.

Viele Patient:innen stellen sich nach der Diagnose „MS“ die Frage, mit welchen Maßnahmen sie ihre MS-Therapie im Alltag zusätzlich unterstützen können. Da durch die MS Entzündungsprozesse ausgelöst werden und viele Nahrungsstoffe sowie Ernährungsformen antientzündliche Effekte haben, landen interessierte Betroffene hier schnell beim Thema Ernährung.

Frau PD Dr. med. Gisa Ellrichmann, Direktorin der Klinik für Neurologie, Klinikum Dortmund und Frau Dr. med. Dipl. oec. med. Verena Isabell Leussink, niedergelassene Neurologin und Ökotrophologin, Meerbusch, gehen in einem Interview verbreiteten Ernährungsmythen auf den Grund und beantworten die Frage, welche Ernährungsformen bei MS geeignet und effektiv sind.

Welche typischen Fragen werden Ihnen zum Thema „Ernährung bei MS“ gestellt und welche Ernährungstipps geben Sie?

PD Dr. Ellrichmann: Grundsätzlich ist, unabhängig von einer MS, eine gesunde, „mediterrane“ Ernährung (wenig Fett, viel Gemüse, wenig Kohlenhydrate) zu empfehlen. Eine klare Empfehlung bei der MS ist die salzarme Ernährung. Zahlreiche Studien belegen einen negativen Einfluss salzreicher Ernährung, wie sie z. B. in Fast-Food enthalten ist, auf den Verlauf der MS.

Dr. Leussink: In meiner Praxis werden wir beispielsweise immer wieder nach dem Intervallfasten bei MS gefragt. Aus dem Tiermodell wissen wir, dass Fasten entzündungshemmend wirkt und dass auch beim Menschen entzündungsfördernde Botenstoffe beim Fasten gehemmt werden. Kleinere Studien haben gezeigt, dass Patientinnen und Patienten, die ein klassisches Intervallfasten (16/8 = 16 Stunden Fasten/8 Stunden Nahrungsaufnahme, bestehend aus zwei Mahlzeiten, ggf. mit dem Verzicht auf Kohlenhydrate am Abend) durchgeführt haben, nach sechs Monaten eine deutlich verbesserte Lebensqualität mit weniger Müdigkeit und depressiven Symptomen hatten. Darum können wir empfehlen, dem Intervallfasten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Großangelegte Studien, die hier den Langzeiteffekt untersuchen, sind aber noch abzuwarten. 

Außerdem werden wir häufig nach der Wirkung einer ketogenen Diät gefragt. Bei dieser Diät wird in einem extremen Ausmaß auf Kohlenhydrate verzichtet. Da dieser Verzicht aber schnell zu einer katabolen Stoffwechsellage führen kann, die eher eine Belastung für den Körper darstellt, würde ich diese Diät nicht empfehlen.  

Wem würden Sie welche Diät bei MS empfehlen?

Dr. Leussink: Die Empfehlung für eine Diät hängt immer auch von den Begleiterkrankungen ab. Adipositas ist beispielsweise ein Risikofaktor, sowohl für die Entstehung als auch für einen schweren Verlauf der MS. Insofern ist es sinnvoll, adipösen Personen das Intervallfasten zu empfehlen, da hierdurch sogar mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden können: einen positiven Verlauf der MS bewirken und zusätzlich Komorbiditäten der MS günstig beeinflussen. Einer 20-jährigen Patientin mit ganz niedrigem BMI würde ich hingegen beispielsweise auf keinen Fall eine ketogene Diät empfehlen. 

PD Dr. Ellrichmann: Wichtig ist, die aktuelle Situation der Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen. Bei Erstdiagnose einer MS müssen Betroffene die Situation zunächst verarbeiten, sich informieren, Therapien planen, was für Viele verständlicherweise eine große Belastung darstellt. In dieser Phase sollten MS-Erkrankte zwar bereits über die Bedeutung von Ernährung und den Einfluss anderer negativer Umweltfaktoren (z.B. Rauchen) informiert werden, jedoch darf anfangs nicht zu viel zusätzlicher Druck hinsichtlich der Lebensweise ausgeübt werden, damit nicht das Gefühl der Überforderung entsteht. Insbesondere, wenn sich Betroffene ungesund ernähren und zusätzlich rauchen, würde ich den Schwerpunkt zunächst in der Rauchentwöhnung sehen. Dennoch gilt für eine gesunde Ernährung: Je früher man damit anfängt, desto besser.

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Vitamine, wie zum Beispiel Vitamin A, B6, B12, Zink und Selen in Fisch, Fleisch und Gemüse anti-inflammatorisch wirken. Bestimmte Botenstoffe, Zytokine, die Entzündungsprozesse fördern, können durch diese Vitamine messbar reduziert werden. Die mediterrane Ernährungsweise mit viel Obst, Gemüse, Fisch und wenig Fleisch beinhaltet die meisten dieser Vitamine und ist daher empfehlenswert. 

Gibt es auch Patient:innen, die die Ernährung etwas zu ernst nehmen?

Dr. Leussink: Es kommt sogar häufig vor, dass meist Patientinnen es mit der Ernährung sehr ernst nehmen und fast gar nichts mehr essen. Hier muss man aufpassen, dass die Ernährungsumstellung nicht in die falsche Richtung läuft und sogar gesundheitsschädigend wirkt. Außerdem sollte Essen schließlich auch noch Spaß machen. Betroffene sollten sich an Feiern im Freundes- und Familienkreis erfreuen können und dürfen auch mal Kuchen und Schokolade essen. 

Auch auf Kaffee muss nicht verzichtet werden, denn dieser könnte eher eine Schutzwirkung auf die Entstehung und den Verlauf der MS haben. Es konnte gezeigt werden, dass ein regelmäßiger Kaffeekonsum mit einem reduzierten Risiko des Entstehens einer MS und einer reduzierten Progression der Gehbeeinträchtigung assoziiert war.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass Betroffene auch „übermotiviert“ sein können, ist Vitamin D. Vitamin D ist zwar extrem wichtig, aber es gibt Betroffene, die mit 20.000 Einheiten am Tag viel zu viel des nützlichen Vitamins zu sich nehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, nicht mehr als 4.000 bis maximal 5.000 Einheiten Vitamin D täglich zu konsumieren.  

Mit welcher Diät kann nachgewiesenermaßen auf die Pathophysiologie der MS Einfluss genommen werden?

PD Dr. Ellrichmann: In prospektiven Studien gibt es Hinweise auf die positive Wirkung von kurzkettigen Fettsäuren (z. B. die Propionate). Diese kurzkettigen Fettsäuren wurden früher in Brot verbacken. Dadurch wurden mit dem täglichen Brotkonsum ca. 1 bis 2 Gramm kurzkettige Fettsäuren aufgenommen. Mittlerweile werden kurzkettige Fettsäuren nicht mehr im Brot verbacken. Grob gesagt werden durch kurzkettige Fettsäuren die „schlechten“ Immunzellen im Darm gebunden, gelangen somit in geringerer Menge ins Blut und letztlich auch ins Gehirn. Das Verhältnis von pro- und antiinflammatorischen Zellen wird somit verschoben, Entzündungsprozesse reduziert. Die Nahrungsergänzung mit täglich 1000mg Propionaten (500mg morgens, 500mg abends) ist zu empfehlen.

Dr. Leussink: Es gibt zudem Studien, die zeigen, dass mehrfach ungesättigte Fettsäuren, wie die Omega3-Fettsäure in Fischöl, antientzündlich wirken. Nach der Gabe von Fischöl wurden hier Interleukin2 und TNF-alpha runterreguliert und regulative T-Leukozyten hochreguliert. Es ist somit empfehlenswert, ein- bis zweimal wöchentlich Fisch zu essen.  

Zellschützend wirken auch sekundäre Pflanzenstoffe, die in saisonalem Gemüse und Obst vorkommen. Sekundäre Pflanzenstoffe sind Farbstoffe, die Obst und Gemüse nicht nur ihre Farbe geben, sondern auch Phytosterine, Flavonoide und Karotinoide enthalten, die als Antioxidantien wirken.  

PD Dr. Ellrichmann: Auch Kräuter wie beispielsweise Pfefferminz, Rosmarin, Thymian und Fenchel stärken Studien zufolge das Immunsystem. 

Was ist besser – Butter oder Margarine?

Dr. Leussink: Margarine – ganz klar. Margarine ist pflanzlich, Butter ist tierisch. Wir wissen, dass in tierischen Produkten die Arachidonsäure steckt, die ein Vorbote für entzündungsfördernde Botenstoffe – auch proinflammatorische Zytokine genannt – ist. Zudem ist in Margarine häufig noch die entzündungshemmende Omega-3-Fettsäure enthalten. 

PD Dr. Ellrichmann: Es ist allerdings auch hier eine Frage der Menge: generell sollte Fett, was auch in Margarine enthalten ist, deutlich reduziert werden.

Gibt es noch mehr Substanzen mit antiinflammatorischer Wirkung?

PD Dr. Ellrichmann: Auch für Weihrauch sind antiinflammatorische Effekte nachgewiesen worden. Manche Patientinnen und Patienten nehmen Weihrauch und fühlen sich besser. Weihrauch ist aber nicht als alleinige Therapie zu verwenden. Eine medizinische notwendige und individuell angepasste Basis-Immuntherapie darf nicht alleinig durch Ernährung oder Nahrungsergänzungsstoffe ersetzt werden.

Dr. Leussink: Zur antiinflammatorischen Wirkung von grünem Tee gibt es viele kleinere Studien, die belegen, dass die darin enthaltene Komponente Epigallocatechin eine antioxidative, antientzündliche Wirkung besitzt. Auf den Verlauf der MS konnte man allerdings in einer großangelegten Studie keinen Einfluss auf die Krankheitsprogression oder auf Symptome nachweisen. Eine wirkungsvolle Dosis Epigallocatechin wäre so hoch, dass sie nierenschädigend wäre. 

Gibt es geeignete Zuckeraustauschstoffe?

PD Dr. Ellrichmann: Zuckeraustauschstoffe sind gar nicht geeignet und sind eher gesundheitsschädigend. Sie sollten daher vermieden werden. Wer Speisen süßen möchte, sollte auf Naturprodukte wie Honig zurückgreifen. 

Welche Diät können Sie abschließend für Patient:innen mit MS empfehlen? 

PD Dr. Ellrichmann: Eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Insgesamt ist ein gesunder Lebensstil empfehlenswert, zu dem auch Bewegung gehört. 

Dr. Leussink: Mit der mediterranen Ernährung kann man nichts falsch machen. Vor exzessiven Diäten kann ich nur warnen. Eine ausgewogene, mediterran vegetarisch orientierte Ernährungsform ist sicher auf lange Sicht die gesündeste Form. 

Quellen

  1. Neurologen und Psychiater im Netz. Ernährung bei MS. Abgerufen am 22.09.2022 von https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/erkrankungen/multiple-sklerose-ms/fragen-im-alltag
  2. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (dmsg). Häufig gestellte Fragen (FAQ). Abgerufen am 22.09.2022 von https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/haeufige-fragen-faq