Sexuelle Funktionsstörungen bei MS – Ursachen und Hilfestellungen
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Sexuelle Funktionsstörungen bei MS – Ursachen und Hilfestellungen

MS kann die Sexualität von Betroffenen beeinträchtigen. Erfahren Sie hier, wie es zu sexuellen Funktionsstörungen kommt und welche Therapieansätze und Tipps helfen können.

Während in der Allgemeinbevölkerung sexuelle Funktionsstörungen bei 10 bis 20 Prozent auftreten, kommen sie bei etwa drei Viertel der Menschen mit MS vor. Sie sind ein unterschätztes, aber nicht seltenes Symptom bei MS und können auch unabhängig von anderen schweren Beeinträchtigungen auftreten.1 Verschiedene Faktoren können zu diesen Störungen beitragen. Sie werden in primäre, sekundäre und tertiäre Ursachen unterteilt:2,3

Primäre Ursachen sind mit Läsionen am Cortex und Rückenmark assoziiert:• Parästhesie
• Sensorische Taubheit
• Verlust der Libido
• Verminderte Lubrikation
• Erektionsstörungen
Sekundäre Ursachen sind mit MS-Symptomen assoziiert:• Fatigue
• Spastiken
• Schmerzen
• Blasen- und Darmstörungen
• Kognitive Beeinträchtigungen
Tertiäre Ursachen sind mit psychosozialen Faktoren assoziiert:• Veränderung der sozialen Rolle
• Affektive Störungen, z. B. Depression oder Angststörungen
• Demoralisierung
• Zwischenmenschliche Schwierigkeiten
• Probleme mit dem eigenen Körperbild
• Angst vor Ablehnung
Zudem gibt es weitere Faktoren, die nachgewiesen mit sexuellen Funktionsstörungen bei MS korrelieren:4• Männliches Geschlecht
• höheres Alter bei Beginn der Symptome
• Primär-progressiver Krankheitsverlauf
• Körperliche Erkrankungen, Behinderung, neurologische Beeinträchtigungen (EDSS auffällig erhöht nach 2 Jahren)
• Ehe
• Niedriges Bildungsniveau
• Arbeitslosigkeit

Bei Männern, die häufiger betroffen sind, äußern sich sexuelle Funktionsstörungen meist als Gefühlsstörungen der Genitalien sowie erektiler oder ejakulatorischer Dysfunktion. Bei Frauen mit MS verursachen häufig Scheidentrockenheit, Schmerzen, Inkontinenz oder Spastik Probleme mit der Sexualität.5 Generell sind Menschen mit RRMS weniger von primären Symptomen betroffen als Patient:innen mit PPMS.1

Welche sexuellen Funktionsstörungen gibt es?

Der sexuelle Zyklus verläuft über vier Phasen. Jede dieser Phasen kann durch MS-bedingte sexuelle Funktionsstörungen beeinträchtigt sein:

Phase 1: Lust auf Sexualität (Libido)

Bleibt das Lustempfinden über mindestens sechs Monate ganz oder wiederkehrend aus und ist das mit einem Leidensdruck verbunden, spricht man von einer Libidostörung.6

Phase 2: Erregung

MS bedingte Schäden an den entsprechenden Nerven können zu Erektionsstörungen beim Mann oder zu Lubrikationsstörungen bei der Frau führen.

Phase 3: Orgasmus

Zu den Orgasmusstörungen beim Mann zählen vorzeitiger, stark verzögerter oder ausbleibender Samenerguss (Ejakulationsstörungen). Bei Frauen können Scheidenkrämpfe (Vaginismus) und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) auftreten.

Phase 4: Rückbildungsphase

Auch unabhängig von einer sexuellen Stimulation kann beim Mann eine Dauererektion (Priapismus) auftreten.

Behandlung sexueller Funktionsstörungen bei MS

Führen Konflikte in der Partnerschaft oder psychische Probleme aufgrund der MS zu Lustlosigkeit, können Gesprächs- oder Paartherapien unterstützen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Paartherapien nicht zu den Psychotherapien zählen und in der Regel von den Betroffenen selbst bezahlt werden müssen. Ob direkt eine Paartherapie sinnvoll ist oder ob die:der MS-Patient:in erst einmal in einer Einzelgesprächstherapie über die Funktionsstörungen sprechen möchte, liegt im Ermessen der betroffenen Person.

MS-Symptome, wie Fatigue, die ein erfülltes Sexualleben erschweren, sollten zudem konsequent behandelt werden. Für verschiedene sexuelle Funktionsstörungen stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung.5

Therapieansätze bei der Frau

Diverse Studien zeigen eine Korrelation von Hormonmangel und Libidostörung. Messungen von Androgenen sind bei Frauen jedoch anspruchsvoll und nur unter der Therapie sinnvoll, da es keine Grenz- oder „Wohlfühlwerte“ für Androgene gibt. Zudem ist die Therapie mit Testosteron bei Frauen nicht zugelassen, wird jedoch manchmal off-label eingesetzt. Vorher ist es jedoch wichtig, dass eine Schwangerschaft ausgeschlossen wurde.5

Den größten Einfluss auf sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen hat die Fatigue. Jüngste Studien zeigen, dass die konsequente Behandlung der MS mit B-Zelltherapien auch die Fatigue-Symptomatik lindern kann.7,8

Frauen mit Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sollten sich an ihre gynäkologische Praxis wenden. Zäpfchen mit Östrogen und/oder Milchsäurebakterien können eine gesunde Scheidenflora fördern, denn sowohl Östrogen als auch Milchsäurebakterien sind wichtig für eine gesunde Zusammensetzung des vaginalen Mikrobioms.9,10 Gleitgel kann ebenfalls bei Schmerzen hilfreich sein.8

Therapieansätze beim Mann

Für die Therapie von Erektionsstörungen stehen verschiedene, gut wirksame Medikamente zur Verfügung, wie beispielsweise Phosphodiesterase-Hemmer. Ein weiterer Wirkstoff aus der Gruppe der Prostaglandine kann als Minizäpfchen oder Gel zum Einsatz kommen.8 Daher sollte bei einem Verdacht auf eine Erektionsstörung ein:e Urolog:in aufgesucht werden.

Unterstützen Sie Ihre MS-Patient:innen mit sexuellen Funktionsstörungen

Als medizinische Pflegekraft können Sie eine umfassende Betreuung bieten, die auch die emotionalen und psychischen Aspekte berücksichtigt. Indem Sie eine unterstützende, aufklärende und einfühlsame Rolle einnehmen, können Sie dazu beitragen, dass Patient:innen sich verstanden und unterstützt fühlen:

Zudem können Ihre Patient:innen selbst einiges beachten, um die Freude an ihrer Sexualität zurückzugewinnen. Geben Sie ihnen folgende Tipps mit auf den Weg:

Quellen

  1. Demirkiran M et al. Multiple sclerosis patients with and without sexual dysfunction: are there any differences? Mult Scler. 2006; 12(2): 209-14.
  2. Foley FW, Iverson J. Sexuality and multiple sclerosis. In: Kalb RC, Scheinberg LC, editors. Multiple Sclerosis and Family. New York, NY: Demos; 1992. pp. 63–82.
  3. Domingo S et al. Factors Associated with Sexual Dysfunction in Individuals with Multiple Sclerosis. Int J MS Care. 2018; 20(4): 191–197.
  4. Zivadinov R et al. Mult Scler. 1999;5:428
  5. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/ms-behandeln/therapiesaeulen/symptomatische-therapie
  6. Vortrag „Let’s talk about: Blasenstörungen, Sex und Hormone“, Jens Krumme, Berlin
  7. Lallana JM et al. Poster presentation P7.3-018. 75th ANN Annual Meeting 2023.
  8. Kister I et al. Poster presentation P6.3-010. 75th AAN Annual Meeting 2023.
  9. Kwon MS und Lee HK. Host and Microbiome Interplay Shapes the Vaginal Microenvironment. Front Immunol. 2022; 13: 919728.
  10. Chee WJY et al. Vaginal microbiota and the potential of Lactobacillus derivatives in maintaining vaginal health. Microb Cell Fact. 2020; 19: 203.